Innovation über Branchengrenzen hinweg wird zum strategischen Imperativ
Märkte sind die Orte, wo im Spiel von Angebot und Nachfrage Bedürfnisse befriedigt werden. Wirtschaftliche, gesellschaftliche, politische und technologische Realitäten bestimmen, welche Produkte und Dienstleistungen auf Märkten in großem Umfang gehandelt werden. Wenn diese Realitäten sich signifikant verändern, sprechen wir von einer Systemtransformation. Aus Systemtransformationen entstehen Zukunftsmärkte.
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Fünf Systemtransformationen prägen die Märkte von morgen:
- Mit der digitalen Transformation entsteht eine gesellschaftliche Wirklichkeit, die auf der informationstechnischen Vernetzung aller Aspekte des Lebens beruht und in der zunehmend Formen künstlicher Intelligenz entstehen.
- Die ökosoziale Transformation beschreibt den Übergang zu einer Wirtschaftslogik, die das Streben nach Gewinn mit sozialen und ökologischen Gesichtspunkten integriert, einen intelligenten Umgang mit natürlichen Ressourcen anstrebt und die Teilhabe möglichst vieler Menschen an der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung anstrebt.
- Die schöpferische Transformation bezeichnet den durch Fortschritte in den Lebens- und Ingenieurswissenschaften ermöglichten Paradigmenwechsel, durch die der Mensch zunehmend in die Lage versetzt wird auf der Ebene kleinster Teilchen wie größter Systeme gestalterisch in die Natur einzugreifen, von der Nanotechnologie über die Organzucht bis zum Klimaengineering.
- Die lebensweltliche Transformation führt uns in eine durch asymmetrische Bevölkerungsdynamiken und soziale Ungleichheit geprägte Gesellschaft, in der ein neuer Individualisierungsschub den Alltag überformt und zwischenmenschliche Beziehungen, Konsummuster und Arbeitsroutinen nachhaltig verändert.
- Die globale Transformation umfasst die tiefgreifenden kulturellen, politischen und ökonomischen Veränderungsprozesse auf globaler Ebene, die sich in einer zunehmend komplexen Konfliktlandschaft ausdrücken, in einem Ringen um kulturelle Werte, geostrategische Einfluss-Sphären und Marktzugänge.
Die Systemtransformationen bieten eine vereinheitlichende Perspektive auf die oft verwirrende Vielfalt von Trends und Zukunftsthemen, die in den Medien und der Fachliteratur diskutiert werden. Zudem bieten sie eine übergreifende Perspektive auf die Märkte von morgen.
Die Märkte von morgen liegen quer zu den Branchen von heute
Systemtransformationen wirken nach dem Prinzip der kreativen Zerstörung, stellen Altes in Frage und lassen Neues enstehen. Die Zukunftsmärkte, die aus Systemtransformationen entstehen, liegen quer zu den Branchen von heute. Drei Beispiele: Der Übergang zu einer postfossilen Mobilität liegt an der Schnittstelle von Automobilindustrie und Energiewirtschaft. Im Zukunftsmarkt Wearables und Smart Textiles rücken Bekleidungsindustrie und IKT näher zusammen. Und in der personalisierten Medizin verschmelzen die Grenzen von Pharmazeutik, Diagnostik und Medizintechnik.
Startups positionieren sich quer zur Branchenlogik
Startups reagieren auf die branchenübergreifende Qualität zentraler Zukunftsmärkte, indem sie sich von Beginn an quer zu den traditionellen Branchen positionieren. Airbnb und Uber sind junge Unternehmen, die Geschäftsfelder im Zukunftsmarkt Sharing Economy erschließen. Beide lassen sich in die herkömmliche Branchenlogik kaum einordnen. Airbnb ist kein reines IT-Unternehmen, sondern konkurriert mit Hoteliers um Gäste. Als Plattform für die Peer-to-Peer-Wohnungsvermittlung für Städtereisen ist Airbnb aber sicherlich auch nicht Teil der Hotelbranche. Ähnlich verhält es sich mit Uber: kein Anbieter der IT-Branche im engeren Sinne, konkurriert mit Taxi-Unternehmen, ist aber selbst keines. Dass das Kompetenzprofil solcher Startups quer zu dem der etablierten Anbieter liegt, macht sie als Wettbewerber so unberechenbar und ist ein wesentlicher Grund dafür, warum disruptive Innovationen so häufig von Startups ausgehen.
Etablierte Unternehmen in der Zwickmühle
Etablierte Unternehmen befinden sich in einer Zwickmühle. Sie sind mit ihrer Branche und mit ihren Kunden verwachsen und zunächst in deren Logik befangen. Gleichwohl müssen sie sich dem Potenzial der Zukunftsmärkte öffnen. Wer an den alten Branchengrenzen festhält riskiert, den Anschluss zu verlieren. Das Top-Management hat dies erkannt: Laut einer weltweiten Befragung sehen Führungskräfte die Neudefinition von Branchengrenzen als wichtigste strukturelle Veränderung für Unternehmen in den nächsten fünf Jahren.
Branchenübergreifendes Kooperationsmanagement
Die Studie „Deutschland 2030. Zukunftsperspektiven in der Wertschöpfung”, die Z_punkt und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gemeinsam herausgegeben haben, diskutiert ausführlich einen ebenso naheliegenden wie potenten Lösungsansatz: “Branchenübergreifendes Kooperationsmanagement wird zum kritischen Erfolgsfaktor in wertschöpfungsorientierten Innovationssystemen.” Auf einen Begriff gebracht: Cross Industry Innovation.
Der strategische Imperativ: Branchenübergreifende Kooperation
Unter einer Cross Industry Innovation versteht die Innovationsforschung eine Innovation, die aus der kreativen Kombination von Know-how aus unterschiedlichen Branchen in Form einer Innovationspartnerschaft entsteht. Dabei kann es sich um ein neues Produkt, einen neuen Service oder auch ein neues Geschäftsmodell handeln. Die Forschung unterscheidet drei Stoßrichtungen für Cross Industry Innovation-Prozesse: Outside-In, Inside-Out und Coupled.
Outside-In
Outside-In Cross Industry Innovation heißt, vorhandene Lösungen aus einer anderen Branche in adaptierter Form auf die eigene Branche zu übertragen. So nutzte BMW die vom kalifornischen Unternehmen Immersion erfundene TouchSense-Technologie bei der Entwicklung des Bedienkonzeptes für das Fahrerassistenzsystem iDrive. Zuvor wurde die TouchSense-Technologie hauptsächlich in Joysticks eingesetzt. BMW fand in TouchSense eine Lösung aus einer anderen Branche, die für sich für eine Problemstellung in der Automobilindustrie nutzbar machen ließ.
Inside-Out
Umgekehrt suchen Unternehmen nach Anwendungsfeldern für eigene Lösungen außerhalb der eigenen Branche – man spricht von Inside-Out Cross Industry Innovation. GoreTex-Membrane zum Beispiel werden längst nicht mehr nur in Bekleidung eingesetzt, sondern auch in anderen Branchen, etwa bei medizinischen Implantaten. GoreTex kommerzialisiert also die eigenen Lösungen über Branchengrenzen hinweg.
Der Coupled-Prozess
Als Königsweg, um Zukunftsmärkte zu erschließen, ist der sogenannte Coupled-Prozess anzusehen. Er beinhaltet, so die renommierten Innovationsforscher Enkel und Gassmann, „einen zum Teil gemeinsamen Innovations- und Entwicklungsprozess von der Idee bis zur Vermarktung, wobei auch arbeitsteilig agiert werden kann.”
Im Coupled-Prozess ist die Zusammenarbeit der beteiligten Partner am intensivsten. Hier geht es nicht um das Übertragen von Lösungen, sondern um Neuentwicklungen am “Fuzzy Front End”, also in der Frühphase des Innovationsprozesses. Die Partner gehen eine Allianz ein, um ein für alle Beteiligten neues Geschäftsfeld gemeinsam zu erschließen. Solche strategischen Innovationspartnerschaften meinen die Autoren der Z_punkt-BDI-Studie, wenn sie konstatieren: „Branchen stehen sich nicht mehr fremd gegenüber, sondern kooperieren, sofern sie an einem gemeinsamen Geschäftsmodell partizipieren.”
Beispiel: Google und Novartis
Ein Beispiel für eine Cross Industry Innovation im Sinne des Coupled-Prozesses ist die im Juli 2014 bekanntgegebene Kooperation von Google und Novartis bei der Entwicklung von „Smart Contact Lenses“, die unter anderem in der Lage sein sollen, den Blutzuckerspiegel des Trägers zu messen. Die Partnerschaft profitiert von Googles IT-Technologieführerschaft, während die auf Augenheilkunde spezialisierte Novartis-Tochter Alcon ihre medizinisch-physiologische Expertise in die Partnerschaft einbringt.
Wissen fließt in beide Richtungen
Das Beispiel verdeutlicht einen zentralen Aspekt des Coupled-Prozesses: Wissen fließt in beide Richtungen. “Die Zusammenarbeit im Coupled-Prozess findet in Allianzen, Kooperationen und Gemeinschaftsprojekten statt, in denen das Geben und Nehmen von entscheidender Bedeutung ist”, so Enkel und Gassmann. Wo Branchengrenzen verschwimmen, wird dieses Muster zum Regelfall: Die kreative Kombination komplementärer Kompetenzen ist die Eintrittskarte in die Innovationsarenen der Zukunft. Die branchenübergreifende Zusammenarbeit wird zum strategischen Imperativ.
Partnerschaften für Zukunftsmärkte: Best Practice
Dass innovative Unternehmen profitabler sind und schneller wachsen, ist durch eine Vielzahl von Studien belegt. Innovation in einem kooperativen Rahmen spielt hierbei eine zunehmend wichtige Rolle. Ein zentrales Kriterium, das die innovativsten Unternehmen weltweit auszeichnet, so eine groß angelegte Studie von PricewaterhouseCoopers: Sie schöpfen aus der Kraft der Kooperation. Der wichtigste Wachstumshebel für Unternehmen, sagen 500 von Accenture befragte Top-Führungskräfte, sind strategische Allianzen. Eine DLR-Studie belegt den Zusammenhang auch speziell für den Mittelstand: „Jedes Kooperationsengagement führt zu einer – zumeist deutlichen – Steigerung des Innovationserfolgs.”
Notwendigkeit von Cross Innovation ist erkannt
Auch die Notwendigkeit, mit strategischen Allianzen Branchengrenzen zu überschreiten, um wichtige Zukunftsmärkte zu erschließen, ist erkannt. Um die verschiedenen Use Cases von Industrie 4.0 – wie vernetzte Produktion, adaptive Logistik und kundenintegriertes Engineering – auszugestalten, sind Partnerschaften notwendig, denn, so der Arbeitskreis Industrie 4.0, „die revolutionären Anwendungen werden vorrangig durch die Kooperation der IKT, der Produktions- und der Automatisierungstechnik erwartet”. Auch zur Realisierung vernetzter Services ist eine branchenübergreifende Zusammenarbeit notwendig, etwa im Bereich Smart Health, wo eine Acatech-Studie mit “kooperativen Geschäftsmodellen über die bisher bekannten Akteure des Gesundheitswesens hinaus” rechnet. Ähnliches gilt einer aktuellen Marktanalyse zufolge für die personalisierte Medizin: „Die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen im Bereich der personalisierten Medizin kann in der nahen Zukunft nur in Netzwerken und Kooperationen erfolgen.”
Nicht nur ein Thema für einzelne Branchen
In der übergreifenden Perspektive zeigt sich, dass Cross Industry Innovation nicht nur ein Thema für einzelne Branchen ist. Eine Vielzahl von Partnerschaften zwischen Unternehmen ist bereits im Entstehen:
- Smart Textiles und Wearables
- Rimowa, Airbus und T-Systems entwickeln gemeinsam einen intelligenten Koffer
- Google kooperiert mit Novartis bei der Entwicklung intelligenter Kontaktlinsen
- Nike kooperiert mit Apple, Adidas mit Google
- Industrie 4.0
- AT&T, Cisco, GE, IBM und Intel bilden das “Industrial Internet Consortium”
- der Landmaschinenproduzent CLAAS kooperiert mit T-Systems bei der Entwicklung von telematischen Lösungen für das Erntemanagement
- Postfossile Mobilität
- RWE kooperiert mit Schneider Electric bei der Entwicklung von Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge
- ABB entwickelt mit Volvo Schnellladesysteme für Elektrobusse
- Autonomes Fahren
- Continental kooperiert mit Google und IBM bei der Entwicklung eines Backends für die Kommunikation zwischen autonomen Fahrzeugen
- Energieeffizienz
- Airbnb arbeitet mit dem Thermostat-Hersteller Nest zusammen, um mehr Appartements mit intelligenten Thermostaten auszustatten
- Nachhaltige Produktion
- BASF, Linde und ThyssenKrupp kooperieren bei einem neuartigen Verfahren, um Synthesegas aus CO2 herzustellen, für den Einsatz in der Roheisen- und Stahlproduktion
- Pharmazeutische Ernährung
- Nestle will den Markt zwischen Lebensmittel- und Pharma-Industrie neu erfinden und kooperiert z.B. mit dem Anbieter Cellular Dynamics International in der Lebensmittelforschung
Managing the Fuzzy Front End of Cross Industry Innovation
Wer Zukunftsmärkte erobern will, muss die Fähigkeit, Innovationen in Cross-Industry-Allianzen zu entwickeln und zu vermarkten, als strategische Kernkompetenz begreifen. Branchenübergreifende Innovation stellt dabei besondere Anforderungen an die beteiligten Unternehmen, da sich hier zwei ohnehin anspruchsvolle Aufgabenstellungen überlagern: der Innovationsprozess und das Kooperationsmanagement.
Woher kommen die Ideen?
Die Überführung von Innovationsideen in marktfähige Produkte erfolgt in den meisten großen Unternehmen heute entlang eines streng formalisierten Prozesses mit genau definierten Meilensteinen. Die Frage ist: Woher kommen die Ideen? Wie wird die Innovationspipeline am „Fuzzy Front End” gefüllt? Und, im Falle von Cross Industry Innovation: Mit welchen Partnern werden die Ideen umgesetzt?
Die Identifikation von branchenübergreifenden Innovationsfeldern und die Suche nach Innovationspartnern aus anderen Branchen ist heute noch in vielen Fällen vom Zufall geprägt. Zudem entstehen viele branchenübergreifende Innovationen aus einer rein technologiegetriebenen Perspektive. Was fehlt ist eine Methode, die einen systematischen Zugriff auf das „Fuzzy Front End of Cross Industry Innovation” erlaubt, d.h. es ermöglicht, systematisch Wertschöpfungsoptionen und strategische Partner zu identifizieren und nicht nur neue Technologien, sondern auch veränderte Kundenbedürfnisse und Anwendungskontexte zu antizipieren.
Strukturierte Identifikation von Wachstumsoptionen
Das Instrumentarium von Corporate Foresight bietet hier die Möglichkeit, in einem strukturierten Prozess zu Wachstumsoptionen zu kommen. Zunächst ist die Frage zu beantworten, wie die eingangs erwähnten Systemtransformationen auf kundenrelevante Handlungsfelder wirken. Daraus werden im nächsten Schritt systematisch branchenübergreifende Zukunftsmärkte abgeleitet. Die ersten beiden Phasen erfolgen in der Regel in-house, also noch ohne strategische Partner.
In der dritten Phase geht es einerseits um die Ausarbeitung konkreter Wachstumsoptionen, andererseits um das Initiieren strategischer Allianzen. Wir befinden uns also in der Frühphase des Innovationsprozesses und in der Frühphase des Kooperationsmanagements. Typisch für Cross Industry Innovation ist, dass sich beide Aktivitäten wechselseitig beeinflussen: Ideen, wie ein bestimmter Zukunftsmarkt zu adressieren ist, beeinflussen die Partnersuche. Umgekehrt beeinflusst der Dialog mit einem potenziellen Partner die Ausgestaltung konkreter Ansätze für neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle.
Unternehmen, die Innovationsmanagement auch als Kooperationsmanagement verstehen, haben die große Chance, von der Dynamik der Zukunftsmärkte zu profitieren, die aus den Systemtransformationen entstehen. Ein wichtiger Anfang ist, zu erkennen, wie am Fuzzy Front End von Innovationsprozessen neue Wachstumsfelder und strategische Partner identifiziert werden, um die neuen Potenziale an den Schnittstellen heutiger Branchen und Märkte zu nutzen.