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Das Bauen von morgen

Das Bauen von morgen

Klimaneutral, sozial gerechter und lebenswerter sollen unsere Kommunen werden – und die Gebäude darin selbstverständlich auch. Ziele, die wir alle sofort unterschreiben würden. Aber wie erreichen wir sie? Und wie muss sich die Baubranche verändern, um bei der Transformation ihrer Rolle gerecht zu werden? Spoiler: Indem sie vernetzter denkt und digitaler arbeitet.

Von Holger Glockner

Wer sich für das Bauen und Wohnen von morgen interessiert, sollte sich zunächst einmal anschauen, was das Bauen von heute verursacht. Mit bald 8 Milliarden Mitmenschen leben wir in einer Zeit der extremen Urbanisierung und Verdichtung. Schon heute wohnen mehr als 50 Prozent der Menschen in Städten, im Jahr 2050 werden es rund 80 Prozent sein. Das heißt aber auch: Wenn immer mehr vom Leben in der Stadt träumen, wird dort der Platz zum Träumen knapp. Und vielerorts leider auch die Atemluft. Derzeit ist der Bausektor laut Studien für 40 Prozent der Treibhausgase verantwortlich und Städte verbrauchen 70 Prozent der Energie. An solchen Zahlen lässt sich ablesen, dass die Bauwirtschaft in einer besonderen Verantwortung steht. Sie muss im Kampf gegen den Klimawandel eine führende Rolle übernehmen und die Treibhausgasemissionen entlang der gesamten Lieferkette senken. In viel stärkerem Maß als bislang sollte sie zudem Bauprodukte als Wertstoffe begreifen, die am Ende nicht entsorgt werden, sondern in technische Kreisläufe zurückgeführt werden müssen. Im Bauen manifestiert sich Kultur. Insofern bedarf es in der Bauwelt neuer Kulturtechniken – zuvorderst Vernetzung, Partizipation und Automatisierung - um einen wesentlichen Beitrag zur notwendigen Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft zu leisten.

 

Zukunftsszenarien: Wie werden wir 2050 bauen?

Für das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat Z_punkt gemeinsam mit Arup Deutschland Zukunftsszenarien entwickelt, die in der Publikation „Bauen von morgen“ gerade veröffentlicht wurden. Wir haben uns beispielsweise mit der Frage befasst, wie sich in den Quartieren mehr soziale und ökologische Nachhaltigkeit verwirklichen lässt, wie neue Technologien der Bauwelt endlich den Zugang in die digitale Moderne ermöglichen oder mit welchen Mitteln Kommunen einen klimaneutralen, besser noch klimapositiven Gebäudebestand erreichen und zirkuläres Bauen fördern können. Die Publikation macht klar: die Bauwelt muss sich in den kommenden Jahrzehnten dramatisch ändern und es gibt bereits heute vielfältige, hoffnungsvolle Anzeichen, dass dies auch gelingen mag.

Studie „Bauen von morgen“ auf der Website des BBSR herunterladen

 

Drei Thesen zum Bauen von morgen

Auf der Grundlage dieser Studie und zahlreicher weiterer Foresight-Projekte steht für uns fest: Nicht nur die Gemeinden und Städte, nicht allein die Gebäude werden sich verändern müssen – die gesamte Bauwirtschaft muss das Bauen neu denken.

1.    Anregung von außen: Sektorübergreifend denken und integriert planen

Die Pandemie hat uns gezeigt, dass die Trennung zwischen Wohn- und Bürovierteln nicht mehr in Beton gegossen ist. Seit Unternehmen ihre Homeofficeangebote ausbauen und Menschen verstärkt online auf Shoppingtour gehen, denken Städte über neue Nutzungskonzepte für ihre Büroviertel und Einkaufsmeilen nach. Damit sind neue Chancen verbunden: Kommunen können wieder vielfältiger, unverwechselbarer werden. Die Uniformität der Shoppingstraßen und Büroschluchten weicht einem bunteren Erscheinungsbild – etliche Kommunen setzen bereits auf den Einfallsreichtum ihrer Bürgerschaft und treiben den Partizipationsgedanken voran. Heißt für Planerinnen und Planer: Modernes Bauen ist flexibel – und es holt sich künftig verstärkt Ideen von außen. Etwa, wenn sich der Bausektor mit der Forstwirtschaft vernetzt, damit er Holz als nachwachsende Ressource stärker nutzen kann. Oder sich gemeinsam mit der Landwirtschaft Gedanken darüber macht, wie Gebäude aussehen müssen, die Urban Farming in größerem Maßstab erlauben. Auch die Kooperation mit der Energiewirtschaft sollte die Branche verstärken und gemeinsam über Konzepte für die dezentrale Energieversorgung und Optimierung der Energieeffizienz nachdenken. Oder angesichts der Solarpflicht auf Neubauten ästhetischere Varianten (z.B. Photovoltaic Skins) entwickeln. Schon bei der Planung müssen in Zukunft graue, grüne und blaue Infrastruktur – also Bauten, Grünflächen und Gewässer – stärker verzahnt werden. In diesem Sinne werden diese „Converging Infrastructures“ zu einem Umdenken beim Planen, Entwerfen und Bauen führen. Wenn Kommunen und Städte so zu einem besseren, gerechteren und nachhaltigeren Leben beitragen, dann entspricht das der Kultur des Gelingens, von der der Soziologe und Sozialpsychologe Harald Welzer spricht. Völlig klar, dass die Bauwirtschaft diese Utopie nicht allein umsetzen kann. Insgesamt geht es darum, bei der in den 20er Jahren bedeutsamen Frage der Neuverhandlung des öffentlichen Raumes ungewöhnliche Verbindungen mit anderen Sektoren einzugehen, um zu tragfähigen Lösungen zu kommen.

2.    Vom Trupp zum Team: Gewerke-Denken überwinden

Die Digitalisierung wird auch die Baubranche komplett verändern. Will sie sich innovativer aufstellen, muss sie zuallererst das Gewerke-Denken überwinden.  Denn Silos bremsen das Tempo auf der Baustelle und digitale Fortschritte aus. Heißt: Künftig müssen sich fragmentierte Bautrupps in transparente und gewerkeübergreifende Bauteams verwandeln. Das setzt ein neues Mindset voraus: Die Gewerke sollten sich künftig als Ökosystem verstehen. Als Netzwerk, das an einer gemeinsamen Wertschöpfung arbeitet. Die Digitalisierung unterstützt diesen Prozess – zum Beispiel mit Building Information Modeling (BIM) oder der Cloud. Modulares und nachhaltiges Bauen, 3D-Druck und Robotik werden die Jobprofile im Bauwesen grundlegend verändern; zukunftsfähig bleibt allein, wer traditionelle Handwerkskunst mit digitalem Know-how zusätzlich aufwerten kann. 

3.    Digital beschleunigen: Systeminnovationen umsetzen

Die deutsche Baubranche gehört nicht zu den digitalen Vorreitern. Das muss sich ändern. Denn nur mit digitaler Unterstützung lässt sich klimaneutrales Bauen und Sanieren in angemessenem Zeitraum erreichen und die Wohnungsnot in Ballungszentren beheben. Heißt: Wo früher einmal vorrangig Menschen Stein auf Stein gesetzt und Betonwände gegossen haben, lassen sie sich künftig von Robotern helfen. Fabriken fertigen automatisiert ganze Bauteile vor. Drohnen werden die Daten für 3D-CAD- oder BIM-Modelle liefern und bei älteren Bauten Energieverluste aufdecken. Maschinelles Lernen macht in smarten Gebäuden Predictive Maintenance möglich: Regelmäßige Wartungstermine erübrigen sich dann, weil die Systeme automatisiert melden, wenn ein Ausfall droht. Und der digitale Zwilling, die digitale Vorabversion des Gebäudes, macht Risiken deutlich, ehe sie auf der realen Baustelle auftreten. Wer Klimaneutralität schnell umsetzen und sich kostengünstig positionieren möchte, kommt am seriellen Bauen und Sanieren oder am 3D-Druck nicht vorbei. Damit ermöglichen digitale Technologien die nachhaltige Transformation hin zu einer regenerativen Ökonomie

Transformation zur Existenzsicherung

Nur wenn sich die Branche jetzt transformiert, wird das Bauen von morgen nicht schon übermorgen gestrig wirken. Aber es geht für die Baubranche nicht nur darum, den Ausstoß von Treibhausgasen in der Bauphase zu reduzieren oder Modelle für ein sozial gerechteres, klimafreundlicheres und lebenswerteres Wohnen zu entwickeln. Es geht auch um ihre Existenz: Denn digitale Plattformen werden zunehmend auch in den Bausektor drängen. Wie die Branche dagegen mauert? Am besten mit Digitalisierung, Vernetzung und neuen Beteiligungsformen.