Integration als Chance für die deutsche Gesellschaft
Die Szenarien werden auf der Konferenz „Denk ich an Deutschland“ diskutiert, die von der Alfred Herrhausen Gesellschaft und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausgerichtet wird und am 23. September 2016 in Berlin stattfindet. Z_punkt hat das Szenarioprojekt methodisch konzipiert und inhaltlich begleitet. Im Folgenden einige Fragen an Holger Glockner, Geschäftsführer von Z_punkt und einer der Autoren der Szenariostudie.
Szenarien als Download
Die beiden Deutschland-2025-Szenarien können Sie hier als PDF-Datei herunterladen.Schaffen wir das? Fünf Fragen an Holger Glockner
Frage: Die Szenariostudie der Alfred Herrhausen Gesellschaft unterscheidet zwischen einem Positiv- und einem Negativszenario. Können Sie kurz die aus Ihrer Sicht zentralen Aspekte der beiden Szenarien skizzieren?
Holger Glockner: Um es pointiert auf den Punkt zu bringen, gelingt es im positiven Szenario, die Phase der Angst und Unsicherheit, die mit Fremden und Fremdem verbunden ist, zu überwinden. Die Menschen in Deutschland lernen, mit Vielfalt umzugehen, und dadurch werden auch die gesellschaftlichen Konfliktlinien entschärft. Werte wie Offenheit, Toleranz und Solidarität dominieren und werden wieder Teil des gesellschaftlichen Grundkonsens, während Abgrenzungswerte mit zum Teil völkischem Beigeschmack nicht Fuß fassen können. Diese gesellschaftliche Stimmungsumkehr wird durch eine positive wirtschaftliche Entwicklung begünstigt.
Im negativen Szenario gelingt es umgekehrt nicht, den gesellschaftlichen Spannungsknoten zwischen Einheimischen und Zugewanderten zu lösen. Dazu tragen auch Phasen der wirtschaftlichen Schwächung und politische Ineffizienzen bei. Eine Kultur der Angst dominiert und wird von rechten Populisten aus machtpolitischen Interessen gnadenlos instrumentalisiert. Insofern spitzt sich die gesellschaftliche Auseinandersetzung weiter zu und es kommt zu ökonomisch wie kulturell fatalen Ausgrenzungstendenzen.
Welches Szenario ist plausibler?
Die Frage ist aus meiner Sicht falsch gestellt. Es geht weniger darum, aus einer passiven Haltung heraus darauf zu schauen, welche Zukunft plausibler oder wahrscheinlicher ist. Vielmehr ist die Frage, welche Potenziale sich nutzen lassen, um zu einem fruchtbaren Umgang mit Migration und Integration zu finden.
Berechtigt ist allerdings die Frage, von welchen Faktoren es abhängt, in welche Richtung sich Deutschland in Bezug auf die Themen Migration und Integration bewegen wird. Im Szenarioprozess haben wir gemeinsam mit der Alfred Herrhausen Gesellschaft und den beteiligten Experten eine Vielzahl von Faktoren diskutiert – von der Effizienz von Verwaltungsabläufen und der Integrationspolitik über das Klima der öffentlichen Meinung und Fragen der Stadt- und Raumentwicklung bis hin zum Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt. Das Zusammenspiel dieser Faktoren wird die Zukunft der Integration maßgeblich prägen.
Zu welchem Ergebnis das dann genau führt, ist wieder eine andere Frage. Im Projekt haben wir uns auf die beiden oben skizzierten Extremszenarien konzentriert. Die Realität wird eventuell auch Schattierungen beider Szenarien beinhalten.
Die Flüchtlingssituation wird von vielen Deutschen als Bedrohung für den Wohlstand und den gesellschaftlichen Frieden wahrgenommen. Zurecht?
Ein klares Nein! Zunächst gebieten es die Menschen- und Grundrechte, dass Menschen in Notlagen geholfen wird. Dass diese Selbstverständlichkeit in Teilen der deutschen Gesellschaft zur Disposition steht, ist für mich das wirklich Beunruhigende der gegenwärtigen Debatte.
Darüber hinaus ist die Flüchtlingssituation eine komplexe Gestaltungsaufgabe, die viele Akteure auf unterschiedlichen Ebenen einbinden muss. Hier sind an erster Stelle die europäischen Länder im Verbund gefragt, mögliche Lasten und Aufgaben gemeinsam zu tragen. Gleichzeitig ist vor dem Hintergrund der Alterung der Bevölkerung eine auch numerisch signifikante Zuwanderung in Zukunft unerlässlich.
Wenn es gelingt, die Zugewanderten am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben teilhaben zu lassen – dazu gehören selbstverständlich das Erlernen der Sprache und die Achtung der Rechtsstaatlichkeit – dann wird Deutschland sowohl ökonomisch als auch kulturell gewinnen. Es gibt aus meiner Sicht keinen Zweifel, dass dies auch bei den bisherigen Zugewanderten der Fall ist, obwohl es in den letzten Jahrzehnten erhebliche Integrationsdefizite gab.
Gleichwohl gilt es, die Ängste der Menschen ernst zu nehmen und nicht zu übergehen – auch wenn das angesichts des dumpfen Hasses und enthemmten Verhaltens, die sich in Teilen der Bevölkerung breit machen, schwerfällt. Menschen wollen keine Veränderung, sie wollen Modifikationen des Gleichen. Daher ist es notwendig über die grundsätzlichen Werte, die unsere zukünftige Gesellschaft charakterisieren sollen, zu diskutieren. Was bedeuten Identität, Solidarität und Toleranz? Wie sieht die Identität in einem pluralen und der Welt zugewandten Land aus? Was bedeutet Solidarität unter den Vorzeichen sich dynamisch verändernder Lebensverhältnisse? Wie kann Toleranz in der Breite der Bevölkerung erlernt werden?
Migration ist eine Konstante der gesamten Menschheitsgeschichte – für die Zukunft gilt das umso mehr, befördert durch die wirtschaftliche Globalisierung, durch neue Krisenlagen und weltumspannende Kommunikationsbeziehungen. Die Vorstellung, Abgrenzung sei das richtige Mittel, um Frieden und Wohlstand zu erhalten, basiert insofern auf einer fast paradoxen Verzerrung der Wirklichkeit. Nicht Migration ist die große Gefahr für Frieden und Wohlstand, sondern Abschottung.
Welche Rolle kann Foresight im Zusammenhang mit einem kontrovers diskutierten Thema wie der Migration von Flüchtlingen überhaupt spielen? Geht es bei diesem Thema nicht eher darum, den tagesaktuellen Handlungsdruck konstruktiv zu bewältigen?
Aus meiner Sicht fehlen weitsichtige Akteure und Strategien, gerade im Bereich der Bildungs-, Integrations- und Sozialpolitik. Alle Maßnahmen werden der kurzfristigen Absicherung unterworfen – und dies derzeit vor allem, um die Angstkultur zu befriedigen. Esra Küçük sprach kürzlich vom „Mut, keine Angst zu haben“. Das beinhaltet für mich, dass wir es mit neuen Realitäten zu tun haben, in denen komplexe Verhältnisse herrschen und es keine einfachen Lösungen gibt, sondern neue zukunftsgewandte Antworten gesucht werden müssen. Und hier kann Foresight als vorausschauendes Denken helfen, Zusammenhänge besser zu verstehen und nach alternativen Handlungspfaden zu suchen.
Zum Abschluss die obligatorische Frage: Schaffen wir das?
Für mich ist ein optimistischer und chancenorientierter Blick auf die Zukunft gerade bei diesem Thema alternativlos. Deshalb kann die Antwort nur lauten: Ja, wir schaffen das. So sind auch die Szenarien zu lesen: als Versuch, Hebel für eine positive Entwicklung und ein friedliches und gelebtes Miteinander freizulegen und die Gefahren einer negativen Entwicklung zu minimieren. Alles andere wäre verantwortungslos.