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Deep Design: Wenn der Mensch zum Schöpfer wird

Deep Design: Wenn der Mensch zum Schöpfer wird

Lässt sich „digital“ noch steigern? Auf jeden Fall. Dazu muss digitale Technologie mit Biologie verschmelzen. Das Ergebnis, wir nennen es Deep Design, ist den Kinderschuhen bereits entwachsen. Wann, wenn nicht jetzt wollen wir den Diskurs über ihre Chancen und Konfliktlinien beginnen?

Von Sivert von Saldern / Holger Glockner

Das Silicon Valley träumt schon länger vom ewigen Leben und begreift den Körper als Betriebssystem, dem wir in Zukunft mit Updates auf die Sprünge helfen können. Gegenwärtig sind wir von der Unsterblichkeit noch weit entfernt. Aber hüten Sie sich, das Ganze als bloße Spinnerei abzutun. Denn der Mensch entwickelt sich zunehmend zur evolutionären Kraft: Indem er die Erkenntnisse von Nano- und Biotechnologie sowie aus den Kognitionswissenschaften mit den Fortschritten von Informations- und Kommunikationswissenschaften „mixt“, schafft er die Basis für neue biodigitale Innovationen, legt die Grundlagen für Deep Design.

Was daraus entstehen könnte? Beispielsweise beliebig kopierbare Backups unserer Gefühle in einer Computer-Cloud oder Androiden mit lebenden Zellen und einem eigenen Bewusstsein. Vielerorts arbeiten Wissenschaftler und Unternehmen an einer solchen Verschmelzung von Biologie und Technologie – und damit an Nanobots, Exoskeletten und Gehirnschnittstellen. Oder an Biosensoren, lebendigen Oberflächen oder humanoiden Robotern. Deep Design potenziert die Möglichkeiten der Digitalisierung und gehört damit zu jenen disruptiven Innovationsfeldern, die auf Individuum, Gesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen starken Einfluss nehmen. Die Entgrenzung von Biologie und Technologie hat das Potenzial, Organismen, Dinge und Ökologie tiefgreifend zu verändern. Die USA und China wetteifern längst darum, wer am Ende bei den biodigitalen Lösungen die Nase vorn hat. Höchste Zeit also, dass wir uns mit ihren technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Auswirkungen befassen und die Versprechen der neuen Konvergenz genauso ernst nehmen wie ihre Risiken.

Zukunftsszenarien: Auf dem Weg in ein hybrides Zeitalter

Für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat Z_punkt gemeinsam mit unserem Partner Prognos die wechselseitige Entgrenzung von Technologie und Biologie im Rahmen des aktuellen Vorausschauprozess genauer untersucht und alternative Zukunftsszenarien für die 2030er Jahre entwickelt. Die Studie „Auf dem Weg in ein hybrides Zeitalter? Die wechselseitige Entgrenzung von Technologie und Biologie“ ist gerade erschienen. Wir bei Z_punkt beschäftigen uns bereits seit vielen Jahren mit den Chancen und Herausforderungen, die das Deep Design für Wirtschaft und Gesellschaft bedeutet.

Welche Rolle spielen künftig Menschen und Dinge?

Zwei Entwicklungen sind bei der Verschmelzung von Biologie und Technologie wesentlich.

  • Der Mensch wird zum Schöpfer: Er optimiert und modifiziert mit Technologie lebende Organismen – auch Lebewesen wie sich selbst. Aktuell richtet sich der Drang der Forscherinnen und Forscher vor allem auf Anwendungen wie personalisierte Medikamente, Neuroprothesen oder künstliche Organe. Mittelfristig wird es auch um unsere individuelle Leistungssteigerung gehen – etwa durch Gehirnschnittstellen, die unser Bewusstsein mit dem Internet verbinden oder unterstützende Roboteranzüge.

  • Dinge verwandeln sich in Subjekte: Damit sie autonom handeln können, werden sie zunehmend mit Intelligenz aufgeladen. Fortschritte bei Sensoren, KI, synthetischer Biologie und Nanotechnologie machen es möglich. Derzeitige Forschung fokussiert sich vor allem auf humanoide Roboter, die zum Beispiel in der Pflege assistieren könnten, sowie auf smarte Materialien und Biosensoren.  

 

Warum Deep Design Antworten auf globale Probleme findet

Dass sich Biologie und Technologie zunehmend entgrenzen, kommt nicht von ungefähr. Die Entwicklung geht mit Versprechen einher, die die globalen Herausforderungen unserer Zeit adressieren. Etwa den Schutz unseres Ökosystems und unserer Ressourcen oder die Themen Gesundheit und Pflege, Arbeit oder Mobilität. Neue Baustoffe, die die Natur imitieren und CO2 absorbieren, sind genauso in der Planung oder Erprobung wie Biosensoren, die Emissionen, Materialströme oder Antibiotika-Konzentrationen im Körper erfassen, oder intelligente Medikamente, mit denen sich unser Körper optimieren lässt, damit wir in Zukunft mit Extremhitze besser zurechtkommen. Und wenn Exoskelette den Bewegungsapparat unterstützen und softe Roboter im Alltag zur Seite stehen, können auch ältere Menschen länger am Leben teilhaben. 

Weshalb Konvergenz nicht ohne Kooperation auskommt

Die Beispiele zeigen auch: Unserer Wirtschaft steht eine neue Technologie- und Innovationswelle bevor. Innovative Unternehmen können sich mit Deep Design zukünftig neue Märkte erschließen und disruptive Geschäftsideen umsetzen. Zentrale Einsatzfelder von Entgrenzungstechnologien werden im ersten Schritt vermutlich der Gesundheitsbereich und der Umweltschutz. Unternehmen, die diese künftigen Chancen nutzen möchten, müssen jetzt ihre Innovationslogiken überdenken. In den wenigsten Firmen dürften die dafür notwendigen biodigitalen Skills in ausreichendem Maße vorhanden sein. Heißt: Konvergenz erfordert Kompetenzentwicklung und Kooperation.

Wieso wir uns jetzt unserer Verantwortung stellen müssen

Mit der Verschmelzung entsteht eine neue Welt: Bislang starre Technologien entwickeln Merkmale von eigenständigem Leben; Organismen lassen sich mit Technik „verbessern“. Damit stellen sich viele grundsätzliche Fragen: Wer sind wir in dieser neuen Welt? Müssen wir die menschliche Natur neu definieren? Wie weit wollen wir gehen? Schon möglich, dass wir den Alterungsprozess nicht mehr als natürlich, sondern als eine Krankheit begreifen, die es zu stoppen gilt. Durchaus vorstellbar, dass die Menschheit ihre Vielfalt verliert, wenn wir den genetischen Code manipulieren dürfen. Und wer bekommt in einer strukturell ungerechten Welt überhaupt Zugang zu den leistungssteigernden biodigitalen Techniken? Denkbar, dass der globale Süden zum Reservat des „natürlichen Menschen“ wird, weil dort schlicht die finanziellen Mittel zur Optimierung fehlen. Die Beispiele zeigen, dass es sich verbietet, die Entwicklung von Deep Design voranzutreiben, ohne sich um die ethische Dimension Gedanken zu machen. Hier sollten Unternehmen und Institutionen in Deutschland wie in Europa die Chance nutzen, Boden gutzumachen und verantwortungsvolle Mechanismen des Deep Design entwickeln. Am Beispiel der „Responsible AI“ haben sie doch gezeigt, dass sie wissen, worauf es dabei ankommt.